Die älteste Sterbekasse in der Bundesrepublik

Pirmasenser Leichengeldanstalt besteht seit 125 Jahren

Die Mitglieder der Ersten Pirmasenser Sterbekasse sind für Samstag, 23. September, 17 Uhr, in das Nebenzimmer der unteren Parkschenke zu einer ordentlichen Jahresversammlung eingeladen. Neben einem ausführlichen Rechenschafts- und Kassenbericht des Vorstandes über das Geschehen im Geschäftsjahr 1988, erhalten Mitglieder, die das 70. Lebensjahr erreicht haben, eine Urkunde für eine beitragsfreie Mitgliedschaft. Der Versammlung kommt eine besondere Bedeutung zu, denn die Sterbekasse begeht den 125. Jahrestag ihrer Gründung als Leichengeldanstalt. Deshalb sind die Mitglieder im Anschluß an die Versammlung zu einem Umtrunk eingeladen.

Die Erste Pirmasenser Sterbekasse ist eine der ältesten Solidargemeinschaften in Pirmasens. Sie wurde am 15. Februar des Jahres 1864 als Leichengeldanstalt gegründet und ist somit 125 Jahre alt. Die Vereinschronik weiß zu berichten, daß zur Gründungszeit der Kasse die Stadt Pirmasens etwa 7 000 Einwohner und damit weniger Bürger zählte als zur Landgrafenzeit. Pirmasens lag weit abseits des Bayernlandes, zu dem es damals gehörte, im Schatten der Grenze.

Der Rat der Stadt und die Vertreter der aufstrebenden Industrie bemühten sich um den Anschluß an die im Bau befindliche pfälzische Eisenbahn und damit an die Handelszentren Deutschlands und der Welt. Immerhin beschäftigte die sich rasch entwickelnde Schuhindustrie damals schon 1 200 Frauen und Männer. Doch der Lohn der Fabrikarbeiter war nicht besonders hoch. Bis der Lebensunterhalt für die meist kinderreiche Familie bestritten war, blieb kaum noch ein Kreuzer übrig, um ihn für Notfälle auf die Seite zu legen.

Zu jener Zeit gründeten einige, heute namentlich unbekannte Frauen und Männer die Sterbekasse "Leichengeldanstalt", die nach dem Statut eine Solidargemeinschaft auf der Basis der Nachbarschaftshilfe war, bereit, im Todesfalle eines Mitgliedes finanzielle Unterstützung zu leisten.

Im Umlageverfahren wurden um 1870 nach einem Sterbefall von jedem Mitglied sechs Kreuzer kassiert, was etwa zwanzig Pfennigen entsprach. Bei 352 Mitgliedern ergab dies einen Betrag von 50 Gulden, etwa 64 Mark, die bei dem nächsten Trauerfall als Leichengeld ausbezahlt wurden.

Zum 50. Geburtstag 1914 beschloß die Mitgliederversammlung eine Erhöhung des Sterbegeldes auf 250 Reichsmark. Während der Kriegsjahre mußte der Betrag auf 100 Mark reduziert werden, mit dem Versprechen, den Restbetrag nach dem Krieg nachzuzahlen. Was auch geschah. Bis 1934, dem Zeitpunkt der politischen Gleichschaltung, hatten 2 500 Pirmasenser ihren Beitritt zur Leichengeldanstalt erklärt. Jetzt wurde der demokratisch gewählte Vorstand durch eine "Vereinsführung" ersetzt und das Umlageverfahren durch einen bestimmten Monatsbeitrag abgelöst.

Nach 1945 begann ein neues Kapitel der Vereinsgeschichte. Durch die Währungsreform dem finanziellen Ruin nahe, fand die Leichengeldanstalt dank der großen Mitgliederzahl bald wieder eine gesunde finanzielle Grundlage. Schon drei Monate nach dem Währungsschnitt wurden bereits 500 Mark Sterbegeld ausbezahlt.

Die gute Finanzlage erlaubte, ab dem Jahr 1952 das Eintrittsalter, das bisher auf 40 Jahre begrenzt war, auf 50 Jahre heraufzusetzen. Bei einem Mitgliederbestand von 8 000 erfolgte 1954 der Beschluß, die über 70 Jahre alten Versicherten von der weiteren Beitragszahlung zu befreien. Schließlich kaufte der Verein die Littersbacher Mühle bei Niedersimten. Für die Mitglieder sollte ein Freizeitzentrum entstehen. Ein wagemutiges Unternehmen, das sich nach einem guten Start aber nicht verwirklichen ließ.

Bei der 100-Jahr-Feier 1964 zählte die Leichengeldanstalt, wie sie noch heute von den alten Pirmasensern genannt wird, 12 000 Mitglieder. Das Sterbegeld konnte auf 550 Mark erhöht und eine Kinder-Sterbegeld-Versicherung eingeführt werden.

25 Jahre danach sind bei der Ersten Pirmasenser Sterbekasse, die inzwischen die älteste und größte lokale Sterbekasse der Bundesrepublik Deutschland geworden ist, rund 14 000 Mitglieder versichert, die überwiegend in der Stadt und in den umliegenden Orten des Landkreises wohnen. Viele sind gleich zweimal versichert, denn seit der Einführung einer Zweitversicherung erwarben etwa 4 000 Mitglieder durch die Zahlung des doppelten Mitgliedsbeitrags, der derzeit, je nach Altersstufe zwischen 1,25 und 3,20 Mark beträgt, Anspruch auf ein doppeltes Sterbegeld von derzeit insgesamt 2 200 Mark. Etwa 2 000 Mitglieder sind älter als 70 Jahre und somit beitragsfrei.

Der Vorstand und der Aufsichtsrat der Ersten Pirmasenser Sterbekasse wollen das 125. Vereinsjubiläum dazu nützen, der Öffentlichkeit die Aufgaben und die Zielsetzung des Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit näherzubringen. Zugleich sollen durch eine großangelegte Aktion in der Stadt und im Stadtumland neue Mitglieder geworben werden.

(fb)


Pirmasenser Zeitung, 22.09.1989